Können NFT und Cryptos das Versprechen auf das neue Web einlösen ?
Das „unsichtbare“ Internet hat unser Leben verändert, aus dem Schlussverkauf wurde ein Black Friday, Karstadt und Walmart wurden zu Amazon, aus Nokia wurde Apple. Und seit 2021 ist der NFT bekannter als der Bitcoin. Während Crypto-Coins immer noch einen abstrakten, eher ideellen Wert darstellen, ist so ein NFT (non-fungible Token) betrachtbar oder sogar hörbar, vielleicht sogar ein wertvolles Kunstwerk – wenn die Technik das denn erlaubt. Und das ist die Frage.
Die dritte Stufe des Internets, dezentrale Services in der Cloud – frei von zentralen Kontrollmonopolen soll gezündet worden sein. Soll man jetzt noch auf den Zug aufspringen, um ihn nicht zu verpassen oder nimmt der Rückgang der 2.-Reihe Techwerte seit November das Ende der Web3-Illusion voraus?
Moxie Marlinspike, der Gründer des Messengerdienstes Signal („Mobile security and privacy projects“) hat sich letzte Woche in einem Blog-Post zum sog. web3 geäußert. Die Web2 / Web3 Community hat via Twitter reagiert, z.B. Elon Musk („Accurate“) und betroffene Gründer, wie und Vitlik Buterin (Ethereum) oder Dan Finlay (Meta Mask) haben umgehend ihre Sicht erklärt.
In seiner Weihnachtspause hat Moxie das große Unabhängigkeits-Versprechen der Web3-Infrastruktur einer kritischen Betrachtung unterzogen, während er gleichzeitig als CEO des Messengerdienstes Signal des Weg für Nachfolger frei macht. Bewiesenermaßen als Experte kommentiert er, ob das Versprechen auf „Dezentralität“ und „Privatsphäre“ gehalten wurde. Die Antwort ist „Nein“, bzw. „derzeit nicht“, das Web3 ist eigentlich nur ein Web 2.2. Kann man folglich überhaupt in Cryptos und NFTs investieren?
Was ist web2 und was ist web3 ?
Signal ist der wohl unabhängigste Messengerdienst, welcher die Privatsphäre der Nutzer am besten schützt, zumindest im Vergleich zu WhatsApp und Telegram. Auf die Frühphase der breiten Internetnutzung, das „web1“ („jedem seine Domain“ – durchsucht von yahoo und google) folgte mit dem „Social Media“ Web2 eine Art Restitutions-Phase der „Zentralisierung“. Der Trend war mit Ebay und Amazon in der Übergangsphase schon erkennbar, aber wenige Gründer erkannten früh den Nutzen eines sich um sozialen Austausch kümmernden „web2“ mit Plattformen wie „myspace“, „facebook“, „twitter“, „snapchat“, „instagram“ und Chat-Diensten, wie „IRC“, „whatsapp“, „signal“ u.s.w. An Ihre Grenzen wurden diese Plattformen durch ihre zu intelligenten Filter geführt, die eine Manipulation breiter Massen z.B. vor Wahlen erst ermöglichten und nun eine sehr Personal-intensive Zensur an Inhalten erfordern. Am Ende des Web2 bauen Menschen Maschinen („KI“), die Menschen helfen und manipulieren
Das web3 von dem Moxie M. spricht, ist von den Wertzuwächsen des Bitcoin inspiriert, ein Massenphänomens und eine Art moderne Tulpenblase. Der ICO-Boom ab 2017 ist die Geburtsstunde dieses web3, das die scheinbar funktionierende Dezentralität der Blockchain für viele weitere Cryptowährungen zum Vorbild nimmt. So wird nicht nur die Plattform Ethereum finanziert, sondern auch die darum herum entstehende neue sog. „DeFi“ – Investments ohne KYC oder Banken. Das Versprechen des Web3 ist aber auch Sicherheit und Datenschutz – ohne staatliche Eingriffe. An dieser Stelle erkennt Moxie zu Recht eine gewisse Mystifizierung, denn wirklich frei und anonym am Bitcoin Netzwerk teilnehmen kann nur einer, der einen Netzwerk-Knoten, einen Server im eigenen Hause managt.
Wie eine Hausse auf dem Trödelmarkt
In seinem bemerkenswerten Blogpost weist Moxie weiter darauf hin, dass echte Teilnahme an den Blockchains nicht nur sehr kompliziert zu realisieren ist, sondern der Zugang zur „dezentralen“ Blockchain aus z.B. einem als „frei“ geltenden „MetaMask“-Wallet am Ende doch nur über wenige zentrale Server-API, wie „Infura“ und „Alchemy“ möglich ist, die natürlich sehr genau registrieren können, wer da welche Werte hält und welche Konten bzw. Wallets hat.
Der entscheidende Hinweis auf die Werthaltigkeit von NFT ist, dass diese nur ein Link auf irgendeinen Server darstellen. Wenn dieser Server verkauft, gelöscht oder gehackt wird, ist auch das Objekt, bzw. Kunstwerk verschwunden. Natürlich ist man noch Eigentümer eines Kunstwerkes, nachdem es aus dem Museum (aka vom Server) gestohlen wurde, verbrannt oder schlicht verschwunden ist. Aber gerade deswegen dreht es sich bei NFT eben nicht um reale, sondern um rein ideelle Werte. Der wahre Nutzen eines NFT ist vergleichbar mit einer Patendatenbank, diese sichert den Rechtsanspruch auf einen möglichen Wert nur dann, wenn ihn jemand nutzen will. Der NFT als technischer Verweis (Link) auf ein Original, autorisiert durch dessen Urheber stellt an sich keinen Wert dar. Die Plattformen, wie „OpenSea“, die solche NFT verwalten sind sehr zentral und funktionieren genauso, wie ein WebShop oder Facebook – was die o.g. Notwendigkeit zur Zensur einschließt. Moxies Selbsttest-NFT wurde z.B. auf OpenSea einfach gelöscht und war für ihn nicht mehr auffindbar.
The show must go on – Goldgräberstimmung am Cryptomarkt
Doch mitten in der Goldgräberstimmung interessiert das Keinen, was Moxie zu dem dezenten Hinweis veranlasst, dass die Wertsteigerungen auf dem NFT-Markt derzeit nur noch von neuem Geld, frisch gebackener NFT-Interessenten stammt. „Hausfrauen-Hausse“ nannten wir das im Jahr 2000.
Aller Voraussicht nach fließt das Geld aus den NFT wieder ab, die Preise der Cryptopunks schmelzen ein, wie Jahre zuvor die der CryptoKitties. Die Spekulation geht dorthin zurück, wo sie hergekommen ist, in Bitcoin, Ether und andere Cryptos. Es mag ein wenig interessantes Detail sein, dass auch Ethereums dApps nicht ohne zentrales Hosting auskommen – ohne Google Cloud, Azure und Amazons AWS geht Nichts. Vitalik Buterin reagiert natürlich umgehend auf Moxies Blogpost und stellt in seiner intelligenten und hoch analytischen Weise die geplanten Innovationen auf seiner Ethereum – Roadmap heraus. Ebenso wie Dan Finlay, der Erfinder von MetaMask selbstkritisch die Schwachstellen seines System zugibt und Besserung gelobt.
Wie weit will man einer anonymen Infrastruktur vertrauen?
Unabhängig davon, was noch verbessert werden kann, bleibt eine Frage offen. Würde das web3 sein Versprechen einlösen und die digitalen Werte dezentral von einer anonymen und Staaten-losen Infrastruktur verwaltet werden, wie findet man Vertrauen, wenn dahinter keine Institution steht? Dass die Programmierer ihrer technischen Infrastruktur vertrauen ist nachvollziehbar. Aber das meiste Geld soll ja von echten Investoren kommen. Woher nehmen die ihr Vertrauen ? Denn am Ende entsteht Wert nur dort, wo Vertrauen in diesen Wert und dessen Zuverlässigkeit herrscht. Kann das auch ein Algorithmus oder eine künstliche Intelligenz garantieren? Die als „FIAT“ verschmähten Währungen sind das beste Beispiel, wie Vertrauen gut funktioniert – es dauert viele Generationen von Menschenleben, um das zu erreichen. Eine vergleichsweise kleine und kurze Preisblase, wie die des Bitcoin ist noch kein Beweis dafür, dass eine Welt ohne „normale“ Währungen, Staatskredite und staatliche Machtmonopole nur mit dem Bitcoin auskommt und dann nicht umgehend im Chaos versinken würde.